Kapitel 3 | «Making kin»
Erzählung von Friederike Kretzen
«Making kin»
1
Als wir zusammen waren. Draussen, unterwegs, unsere lange, zauberhafte Wegfindung durch Länder, über Meere, Grenzen; quer durch die Abgeschiedenheiten des Erlebten. Weiter durch die Gebiete kleiner fehlender Völker, ihrer Wörter und Sprachen, mit denen wir uns verwandt, von denen wir uns gemeint fühlten. Sie verwandelten uns, wir wurden andere: klein und fehlend. Was uns immer weiter fort riss, hin zu den Seiten aus Leinwand und Farben. Membranen des Lichts, wo sich die Linien, die Spuren von Lebenden und Toten verweben. Die einen wie die anderen für kurze Zeit Gast auf der Erde, jeden Tag wieder und auch in der Nacht. Wie wir. Abends, im Schutz der Dunkelheit, entsteigen wir den Schiffen und treten vor zum Wiedersehen der Sterne. Mitzusein sind wir gekommen.
2
Wir aus der Familie der Seefahrer, der Navigatoren und leichten Matrosinnen. Sternenleserinnen auf dem Meer der Formen und Ähnlichkeiten. Wie wir uns auskennen mit den Konstellationen, sie lesen, abends an Land kommen, die Sterne zu grüssen. Fallen als Amazonenheer in Gärten ein, bewachen den Schlaf der Sesshaften, bestecken ihn mit Blumen, mit sanften Anrufungen, den alten Liedern: Where have all the flowers gone?/ Long time passing./ Where have all the flowers gone?/ Long time ago.
Wir tragen Gewänder aus federleichter Fallschirmseide. Aufgelesen aus den Schlachtfeldern, die Schirme reissfest, gute Segel auch. Soldaten hingen dran, fielen vom Himmel. Wir schnitten die Fäden durch, liessen sie liegen. Über Nacht wuchsen aus den Soldaten Mädchen hervor. Wie einst unter Aufsicht von Pallas Athene den ausgesäten Drachenzähnen Krieger entwuchsen. «Beschilderte Männer mit Lanzen und Helmen steigen auf wie Bilder an festlichen Tagen», schreibt Ovid. «Wenn im Theater der Vorhang sich hebt, bis langsam die Figuren sich öffnen»: Zwei Mädchen, nackt, mit lila glühenden Körperspitzen. Ihre Augen geschlossen, nach innen gekehrt, sich selbst unsichtbar, dem Bewusstsein entzogen, eingesponnen in den durchscheinenden Kokon übermächtiger Spinnenwesen.
Zikadentöchter, Früchte toter Soldaten, Drachenbrut. Sanft der Erde entstiegene Kriegsreste, Flaschenpost, vielleicht waren die Soldaten Partisanen. Walking with the Comrades. Am Morgen aufgebrochen zu viert, am Abend kam einer zurück. Wieder ein Lied und uns kommen die Tränen. Die Mädchen keimen auf, wachsen, glühen, zweifacher Samenkörper, liegen sich selbst genug auf der Erde, folgen einer Passion. Mutterseelenallein der wahnsinnigen Symmetrie der Vereinigung verschrieben, dem, was sich Verwandtschaft nennt. Dem Zikadengesang geweiht, der Paarung und dem erneuten Abstieg in die Dunkelheit der Erde.
3
Wir sind die wehenden Blütenkleider der Seiden, Segel alter Heere. Wir, das sind die Sprachen, die grossen Familien der Wörter und Farben, jederzeit bereit, unsere Existenz aufs Spiel zu setzen, zu neuen Ufern aufzubrechen, das Gespräch mit furchteinflössenden Geistern aus anderer Zeit, was auch immer sie sein mögen, nicht scheuend. Wir sind gerüstet mit Zartheit. Wir kennen eine grausame Sprachmutter, die uns in gemalten Landschaften, in Wäldern, auf Wegen voller raschelndem Laub von allem, was wir lieben, abschneidet, um aus uns Liebende zu machen. Wir sind ihre Verwandten und kommen auf Schiffen voller Ähnlichkeiten in unseren Kostümen und Masken. Wie diese Mutter sind auch wir ruhelos. Wir wollen die Zeit zurückgeben, alles, was uns aufgetragen wurde, um abermals zu beginnen. Dann irrt auf leerem Feld ziellos ein Traum, grosser Bruder der grossen Schwester Leben. In der Hand die alten Blumen.